Liebe Weißwasseranerinnen, liebe Weißwasseraner,
sehr geehrte Gäste unserer Stadt,
die Isolation zehrt sichtlich an den Nerven. Aber es entwickelt sich auch ein neuer Alltag. War es sonst nicht möglich, dass Familien zusammen gefrühstückt haben oder zusammen Abendbrot gegessen haben, ist das jetzt vielmals Realität. Wir verleben vielfach mehr Zeit in der Familie als vorher. Das ist schön – aber auch anstrengend, weil uns weder die Spiel- oder Sportplätze zur Verfügung stehen, noch die kulturelle Abwechslung oder die Möglichkeit, den Kindern Zeit mit ihren Großeltern zu schenken und es ist da ja auch noch die Schule, die nun zu Hause ist.
Es ist alles anders als zuvor – aber es gibt nicht nur Corona. So gehen die Bauarbeiten an der Jahnstraße planmäßig voran. Und auch die Sanierungs- und Umbauarbeiten beim Jahnbad sind in vollem Gange. Das ist wichtig – einmal für die Wirtschaft vor Ort und eben auch, damit nach Corona nicht ein Arbeits- und Investitionsstau uns in die nächste Krise stürzt.
Die wichtigste Frage dieser Tage ist und bleibt aber: Wann ist das vorbei, wann kehren wir zurück zur Normalität, wann ist die Viruskrise mit ihren vorgegebenen Beschränkungen vorbei? In einigen Städten und Bundesländern werden die Rufe laut, die Beschränkungen nach dem 20. April wieder deutlich zu lockern.
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich ein sicherer Fahrplan nicht aufstellen – aber als Oberbürgermeister erwarte ich durchaus, dass sich die entsprechenden Gremien mit dieser Planung jetzt beschäftigen. Heute wissen wir nicht, wie sich die Infektionszahlen weiter entwickeln. Stand heute sind es 10 in Weißwasser/O.L.. Wir wissen nicht, ob die bestehenden Maßnahmen greifen und wann sie den gewünschten Erfolg erzielen. Wir wissen nicht, wann der Punkt erreicht ist, dass Lockerungen bei den Beschränkungen das kleinere Übel sind.
Aber Sie können sich sicher sein, als Oberbürgermeister ebenso, wie als Familienvater und im Namen aller Mitarbeiter der Verwaltung sehnen wir uns diesen Tag auch alle herbei. Jedoch treibt uns dabei immer die Sorge um, was, wenn die Lockerungen zu früh kommen, was wenn die Spitze des Eisbergs noch gar nicht erreicht ist, was, wenn jede Erleichterung des Alltags zugleich den Tod von geliebten Menschen nach sich zieht.
In diesen Fällen ist es besonders gut, Behörden, Ämter und Verwaltungen zu haben Hier wird aufgrund der Struktur eine Entscheidung immer aus rationalen Gründen gefällt – und nicht aus der Emotion eines Einzelnen oder einiger Weniger heraus. Das bietet Verlässlichkeit, auch wenn die Entscheidungen uns als Menschen, im Privaten und aus der Gefühlslage heraus nicht als die beste Lösung erscheinen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese behördlichen Entscheidungen in der Summe aller Informationen die beste für uns darstellen, ist sehr hoch.
Auch wenn es mir und Ihnen vielleicht schwer fällt, sich gerade vor Osten und angesichts der langen Isolations- und Beschränkungszeit noch weiter an die Einschränkungen des Alltags zu halten – es ist richtig, es ist wichtig und es ist nach derzeitigem Wissensstand der einzig gangbare Weg. Dieser Weg ist bitter, steinig und fordert und alle. Aber er sichert das Leben von Menschen. Wir haben es in den Nachrichten, seitens des Landkreises, und der Statistiker erfahren, wie schnell sich die Situation ändern kann. In Niesky sind an einem Tag gerade einmal eine Hand voll Menschen infiziert, keine 24 Stunden später sind es über 50 und auch die Anzahl der Toten steigt dabei.
Versuchen wir deshalb bei allen Sorgen um die Zukunft, Sorgen um die eigene Existenz, Sorgen um den Job und Sorgen um die zu bezahlenden Rechnungen an die Ereignisse an jedem Tag zu erinnern, die uns positiv in Erinnerung bleiben können: Das Lachen der Kinder, weil sie mit den Eltern am Vormittag schon Spiele spielen. Die Nähe zu einem guten Freund, den man viel zu wenig angerufen hat – und der jetzt in der Krise einer der wichtigsten Gesprächspartner ist, die gemeinsame Zeit als Ehepaar aufgrund der verlangsamten Abläufe, die Freude, im Supermarkt das lange vermisste Toilettenpapier zufällig mal erhalten zu haben, die Chance, in alten Fotoalben zu blättern, die ganz bewussten Spaziergänge im Frühling – die so ganz anders sind, als die Spaziergänge sonst im Frühling.
Und wir können dankbar sein, dass die Krise einen Denkanstoß ermöglicht. Jeder kann bei anderem Licht beschienen darüber nachdenken, was ihm wirklich wichtig ist. Dem einen ist es die Reisefreiheit, dem anderen der Garten und einem anderen das Gespräch mit den Nachbarn. Egal was es ist, wir erhalten eine neue Wertschätzung von scheinbar alltäglichen Dingen, Ereignissen und Ritualen. Bei aller Krise, bei allem Leid, bei allen Sorgen – zumindest das ist ein positiver Effekt dieser Viruskrise.
Von älteren Mitbürgern wurde ich mehrfach darauf angesprochen, dass ihnen die leichte Lockerung der Regelungen zu den Lebensmittel- und Frischemärkten sehr gut getan haben. In dieser Generation ist es nicht üblich, den Alltag am Telefon zu besprechen. E-Mail oder Soziale Medien sind gar keine Kommunikationsformen für die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Für sie zählt im Alltag nur das persönliche Gespräch.
Durch die Corona-Krise ist diese Form der sozialen Interaktion nahezu weggefallen. Es gibt keine Alternativen. Hinzu kommen gestresste Pflegedienste, reduzierte Kontakte zu Verwandten und Bekannten, keine Möglichkeit auf einen begleiteten Ausflug und Erschwernisse beim Einkauf ohne Automobil. Und dann kommt obendrauf noch die Stigmatisierung als Risikogruppe, als jene Menschen, welche gemieden werden sollen – um sie zu schützen, und um das Virus irgendwann los zu werden.
Und es gibt ja auch jetzt immer wieder Lichtblicke. So sind die Schutzmasken unserer Weißwasseraner Firma Menred an Arztpraxen, Kitas, Schulen, Pflegedienste und zum Beispiel auch beim Ordnungsamt verteilt worden. Es sind nicht viele Tausend Masken, aber sie können einen Engpass überbrücken helfen. Und auch an anderer Stelle finden sich Wege, die vorher zu steinig erschienen, um sie umzusetzen.
Das Lernen in der Grundschule läuft über viele Hausaufgaben, in den höheren Klassenstufen digital. Die Onlineangebote unserer Händler werden angenommen und entwickeln sich gut weiter. Auch die Tafel öffnet am 8.4. wieder – das hat viel Engagement und Arbeit vorausgesetzt, ist aber wichtig. Denn die Schwächsten in unserer Gesellschaft benötigen besonders Hilfe. Und eben auch jene, die ihren Teil längst für die Gesellschaft gegeben haben, verdienen dafür und in dieser Krise unseren Respekt.
Ihnen allen, den älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gilt mein tief empfundener Dank. Sie haben schon so viel Leid im Leben erfahren. Sie haben gesellschaftliche und politische Umbrüche durchlebt – und an ihrem eigentlichen wohlverdienten Ruhestand kommt nun das Virus um die Ecke und verdirbt die gute Zeit des Unruhestandes. Wir Jüngeren tragen keine Schuld daran, wir können nicht allein aus dem Willen heraus die Situation verbessern – aber wir können und wollen ihnen allen, den Älteren sagen, dass wir voller Respekt und Liebe jeden Tag an sie denken. Wir haben alltägliche Sorgen, die lieben Kinder zu bespaßen, unsere unfreiwillige Freizeit sinnvoll zu gestalten, wir sind damit beschäftigt unsere Existenz zu sichern und uns neu zu erfinden.
Es sind weiter die Tugenden, wie Disziplin, Durchhaltewillen und Korrektheit im Umgang gefragt – die Einschränkungen werden absehbar zurückgefahren, ein neuer Alltag wird einkehren. Und Familien können wieder gemeinsam den Frühling genießen.
Das ist die Zeit, um Familienbande wieder enger zu knüpfen: Heute mit dem ungeplanten, nicht verabredeten Telefonanruf – und morgen oder übermorgen vielleicht schon mit dem lange ersehnten Besuch der Kinder- und Kindeskinder bei den geliebten Großeltern, Tanten und Neffen. Diese Aussicht macht auch mir Hoffnung. Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam auf diese intensive Zeit zurückblicken können und die draus gezogenen Lehren unseren Kindern und Enkeln mitgeben. Sie sollen es einmal besser haben als wir – und vielleicht auch besser machen als wir.
Bleiben Sie gesund bzw. werden Sie wieder!
Ihr Oberbürgermeister Torsten Pötzsch